1. September 2010

John Mellencamp - “Fighting man`s Springsteen”




Kein Springsteen für Arme
„Poor man`s Springsteen“ – der Springsteen für Arme – so nannte man John Mellencamp in den 80er-Jahren. Eine Bezeichnung die den Versuch darstellt, den unbequemen Rocker zu schubladisieren. Unbequem, weil immer schon stur, rastlos und rebellisch. Mellencamps Karriere scheint ein einziger Kampf zu sein, mit unendlichen Schlachten an verschiedensten Fronten. Gegen gierige Plattenfirmen, inkompetente Musikmanager, korrupte und ignorante Behörden, eine intolerante Gesellschaft, verständnislose Ehefrauen und letztlich gegen sich selbst, wegen diverser Krankheiten, Schlaganfällen und dem nahenden Tod. Kein amerikanischer Musiker scheint patriotischer und zugleich rebellischer zu sein. Keine Karriere kann größere Sprünge verzeichnen und reiht so eng Großtaten und Erfolge neben Peinlichkeiten und Misserfolge. Von einem derzeitigen Comeback bei John Mellencamp zu sprechen ist falsch wie überflüssig. Seine letzten beiden großartigen Alben Life Death love and Freedom & No Better Than This, sind vielmehr eine Heimkehr. John Mellencamp scheint mit seiner aktuellen Musik endlich bei sich angekommen zu sein. Ein langer Weg von Johny Cougar zu John Mellencamp und eine Gelegenheit für das Porträt eines Unbequemen, der in Europa immer noch zu wenig wahrgenommen wird.

Der langwierige Start einer wechselhaften Karriere
Aufgeschlossene Beobachter wundern sich heute noch, dass Mellencamp`s Karriere überhaupt zündete. Seine ersten vier Studioalben (1979-84) sind unhörbarer Quatsch und servieren eine furchtbare musikalische Melange aus New Wave, melodiearmen Pop und verunsicherten Rock N´Roll. Es mag an der damaligen Großzügigkeit und Geduld der Plattenfirma gelegen haben – heute kriegt kein Künstler nach zwei verhauten Album eine weitere Chance – und auch an dem kleinen Hit „I need a lover“ (top 10 in Australien), dass John Cougar noch die Gelegenheit bekam, ein fünftes Album aufzunehmen. American Fool erschien 1982, als der große Bruder Bruce Springsteen mit dem introvertierten Nebraska eine Auszeit aus dem Rockzirkus nahm und passte perfekt in die frühen 80er-Jahre. Gefälliger, patriotischer Roots-Rock, glatt produziert und auf Hitparade getrimmt. Und diesmal hatte Mellencamp sogar einige zwingende Melodien eingebaut. Die fetzige Single Hurt so good schaffte es sogar auf Platz eins der US-Charts und zog das Album mit, welches auch auf an der Spitze der Albumcharts landete. Es sollte kurioserweise Mellencamps einzige Nummer eins bleiben. Der Nachfolger Uh-Uh warf zwei weitere Hits ab und propellte den Musiker zum neuen US-Superstar. Zwischenzeitlich veröffentlichte Springsteen Born in the USA. Patriotischer Rock war das neue große Ding zwischen New York und L.A. Neben dem großen Bruce war 1985 jedoch wenig Platz und Mellencamp kassierte rasch den Begleitsatz: „Springsteen für Arme“. Unpassend und schlicht falsch. Mellencamp spielte nie den pathostriefenden Breitwandrock wie sein erfolgreicher Kollege. Seine Lieder waren immer schon inwendiger, was er mit seinem siebten und charakteristischsten Album beweisen sollte.
Der Regen auf die Vogelscheuche brachte die großen Hits
Rain on the Scarecrow ist immer noch das Referenzwerk des störrischen Musikers. Mellencamp wuchs in einer Kleinstadt im Bundesstaat Indiana auf, war schon immer politisch aufgeweckt und hasste aus ganzen Herzen die Reagan-Administration, seiner Ansicht nach, die USA für immer verändern würde. Sein Album Scarecrow war ein Statement über die Missstände des Landes. Der Titelsong behandelt mit schmerzhaft deutlichen Worten den Verlust der Würde der heimischen Farmer.

Rain on the scarecrow Blood on the plow
This land fed a nation This land made me proud
And Son I'm just sorry there's no legacy for you now
When you take away a man's dignity he can't work his fields and cows

Mellencamp machte aus seinem Herzen nie eine Mördergrube. Seine offene Kritik an die Republikaner, welche er bis in die Bush-Jahre fortsetzte, schuf ihm in der eigenen Nachbarschaft viele Feinde. Für viele Amerikaner hat sich der Künstler aufgrund seiner konsequenten Kritik des Landesverrats schuldig gemacht. Wahrlich kein kluger Schritt für die Karriere in „Gods own country“, jedoch ein konsequenter. „Scarecrow“ war auch die erste „Americana“-Platte, bevor es dieses Genre überhaupt gab und kann stilistisch als einleitendes Album für die „No Depression“ Bewegung betrachtet werden, welche Anfang der 90er-Jahre alternativ Country-Bands wie Wilco, Sixteen Horsepower, Uncle Tupelo und Musiker wie Ryan Adams, Connor Oberst & Bonnie Prince Billie eine Karriere ermöglichte. Auch die restlichen 80er-Jahre waren gut zu Mellencamp. Zwei weitere Hitalben (The Lonesome Jubilee 1987 & Big Daddy 1989) und erfolgreiche Tourneen füllten die Kriegskasse. Ferner wurden zum ersten Mal die Kritiker auf ihn aufmerksam und lobten den melodiösen und fein arrangierten Countryrock.
Von Scheidungen, Herzinfarkten und anderen Karrierestolpersteinen
Der Preis für den Erfolg wurde, wie allzu oft, an der häuslichen Front bezahlt.1989 ging der Musiker durch eine hässliche Scheidung. Diese wurde offensichtlich mit einer trotzig wütenden Platte voller Pessimismus und apokalyptischen Warnungen bearbeitet. Whenever We Wanted von 1991verstörte viele Fans. Der gefällige Countryrock wurde von lärmenden E-Gitarren und kreischenden Bläsern verdrängt. In den 90ern entdeckte der Künstler auch die Malerei, was eine Veränderung im Fokus bedeutete. Die Alben dieser Zeit bedeuteten selbst für Fans besseren Durchschnitt und vermittelten trotz einiger starker Titel eine generelle Lustlosigkeit. Frustriert von der eigenen Stagnation und der Tatsache seit zehn Jahre keinen Hit mehr gelandet zu haben, wechselte Mellencamp 1998 Plattenfirma und Management und suchte bei traditionellen Rocklabel Columbia (Springsteen, Billy Joel) eine neue Heimat. Auch ein mühsam überwundener Herzinfarkt zwang den Künstler neue Wege zu gehen. Der Neuanfang sollte gleich mit einem selbstbetitelten Werk dokumentiert werden. Das Album war jedoch zu schwach und einer der Titel – „Pissing against the Wind“ – entpuppte sich als Orakel für Mellencamp`s Karriere. Nach einem weiteren Flop tauchte der Musiker unter. Auch die treuesten Fans waren sich sicher, dass hier ein weiterer alternder Rockstar seine Karriere endgültig zu Grabe getragen hat. Alle irrten.
Auferstehung durch Rückbesinnung
Um den unnötigen Springsteen Vergleich endgültig zu beenden, sollte die derzeitige erstaunliche Revitalisierung von Mellencamps Karriere mit der des Bob Dylan verglichen werden. Amerikas größter Songwriter ist in den 80er-Jahren auch am Ende seiner Weisheit angelangt. Schwache Alben und lustlose Tourneen ließen den Meister an sich selbst zweifeln und das Karriereende ernsthaft in Betracht ziehen. Es war dann das hervorragende Oh Mercy, welches Dylan aus der Ecke rausholte. Vollends befreit haben ihn dann seine beiden Alben mit Blues und Folkklassikern, welche er 1992 und 1993 veröffentlichte. Dylan besann sich seiner Wurzeln und veröffentlichte schließlich seine besten Alben seit Jahrzehnten. Auch John Mellencamp nahm 2003 ein Album mit Folk-Klassikern auf. Trouble no more wurde zwar kein großer Hit, befreite jedoch den Künstler von Zwängen und selbstgestellten Erwartungen. Sein darauffolgendes Studioalbum (Freedom Road 2007) entpuppte sich als zorniger Countryrock im Geiste von Scarecrow. In den Texten rechnete Mellencamp gnadenlos mit der Bush-Administration ab. Aber dies sollte nur die Aufwärmrunde für Life Death Love and Freedomsein, welches sein bestes Album bis heute werden sollte und 2008 erschien.
Zuhause angekommen mit Leben, Tod, Liebe und Freiheit
Fans und Kritiker zeigten sich verwundert und erfreut was in dem alten Knaben noch steckte. Man hat es vermutet aber nie zu erwarten gewagt. Nicht unwesentlich am künstlerischen Erfolg war Produzent T. Bone Burnett mitbeteiligt, der Mellencamp endgültig von den Konzepten befreite, dass seine Lieder eine radiofreundliche Produktion bräuchten. Burnett reduzierte die teils erschütternd direkten Lieder zum musikalischen Skelett. Textlich ist Mellencamp nach seinem nationalen Rundumschlag inzwischen bei sich selbst angekommen und beschreibt die letzten Dinge mit einer Endgültigkeit, die dem Hörer die Sprache verschlägt.
If I die sudden, Please don't tell anyone
There ain't nobody that needs to know that I'm gone
Das Album ist ein Meisterwerk amerikanischer Songwriterkunst und verdient einen Platz zwischen Springsteen und Dylans besten Werken. Das aktuelle Album No better than This setzt diesen Konzept noch konsequenter fort und orientiert sich am Sound alter Blues und Folkballaden aus den 1930er-Jahren. Aufgenommen im trotzig knarrenden Monosound, in traditionellen amerikanischen Studios, bietet No better than This eine spannenden Zeitreise in die USA des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Mellencamp hingegen, ist endgültig bei sich angekommen und macht offensichtlich nur noch das, was ihm am Herzen liegt. Dazu gehört auch das Projekt Farm-Aid, welches der Musiker gemeinsam mit Neil Young und Willie Nelson betreibt. Seit 20 Jahren findet jährlich ein Farm-Aid Musikfestival statt. Inzwischen wurden dadurch bereits Millionen für notleidende Farmer gesammelt.
Musikalisch hat Mellencamp inzwischen auch seine Vergangenheit geordnet. Nachzuhören bei seinem im Juni erschienen Vier-CD-Set On the Rural Route 7609, welches einen Karriereüberblick bietet. Die eigenwillige Songauswahl stellt für derartige Box-Sets ein Novum dar. Üblicherweise versammeln Künstler auf diesen Retrospektiven ausreichend Hits und eine Sammlung Raritäten für die Fans. Mellencamp hat das Konzept überworfen und bietet einen thematisch geordneten Blick auf seine Karriere mit Titeln, welche seiner Ansicht nach mehr Beachtung finden sollten. So finden sich auf Rural Route fast keine Hits, dafür jedoch 15 Titel aus den letzten beiden Alben und interessante Albumtracks aus den letzten 25 Jahren. Keine Konzessionen an den Markt, dafür eine spannende Einführung in das Werk eines der interessantesten und immer noch unterschätztesten Künstler der letzten drei Jahrzehnte. Einfach war er John Mellencamp nie, aber er hat immer für seinen Standpunkt gekämpft. Wie er das auf einem Titel aus dem 1985er-Album Scarecrow verdeutlichte.
You've got to stand for something
Or you're gonna fall for anything
Andi Bauer

Empfehlungen
Words and Music 2004 Mercury (Universal) ASIN: B00065VRXS
On the Rural Road 2010 Island (Universal) ASIN: B002GYHIWG
No better than This 2010 Decca (Universal) ASIN: B003NWS5DQ

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