26. September 2010

Sunday Morning Coming Down..…….und ich will auch mehr Aufmerksamkeit

Das Leben ist einfacher geworden seit wir in einer Mediengesellschaft leben, man weiß wie es läuft und ist gefeit vor Überraschungen. Das uralte Spiel „ich provoziere – du entrüstest dich – und wir kommen beide in die Zeitungen“ läuft mittlerweile erfolgreich auf allen Kanälen – und alle machen mit und freuen sich. Sei es in der Politik, wo der Hans Christian (früher wars der Jörgl) einen Rülpser loslässt und darauf immer dieselben Reaktionen auslöst. Die Grünen wild empört: „Faschistische Nazibande“. Die Sozis moralisch wetterleuchtend: „Das darf man aber nicht so sagen“ und die Schwarzen staatsmännisch schweigend: „Also wir kommentieren das sowieso nicht“. Und alle dürfen als Belohnung wieder in die Zeitung. Und die Zeitungsleute haben was zu schreiben und die Bürger den Eindruck, dass die Politiker eh noch da sind und irgendwas tun. Natürlich lenkt das Ganze auch den unmündigen Bürger von den üblichen Mauscheleien, wirklichen Skandalen, korrupten Postenschachereien und anderen Schweinerein ab.
Ich hab ja so eine Theorie, das unsere Politiker einen wöchentlichen jour-fix haben – in irgendeinem Hinterzimmer im Cafe Landtmann. Da treffen sich dann der Werner, der Joschi, die Evi und der Hansi (der Buchi darf nu net dabeisein) und überlegen sich gemeinsam ein paar Aufreger und passende Reaktionen fürs dumme Volk und die Zeitungen.
In der Popmusik läufst ja auch nicht anders. Lady Gaga wechselt ja stündlich ihre Kleidung für die Fotografen. Ein kleiner Höhepunkt unter vielen Anderen war ein Kleid aus echten Fleischstücken auf dem Cover des „Vogue“ Magazins. Na, da war was los. P.E.T.A. (People for the Ethical Treatment of Animals), diese politisch korrekte Tierschutz-Terrorbande für Gutfühl-Prominente, schäumte ganz böse und rief sofort zum weltweiten Boykott von Lady Gaga CDs auf. Kauft nicht die Musik dieser Mörderin schallte es aus einschlägigen Foren. Nun die Lady ist froh, weil wieder ordentlich in den Medien, die P.E.T.A. ist froh weil Sie der Welt zeigen kann, dass sie noch eine Existenzberechtigung hat und die Plattenfirma ist natürlich froh, weil solche Aktionen den Verkauf ankurbeln. Die einzige die sich sorgen machen sollte ist Lady Gaga, denn langsam gehen mit Sicherheit die Ideen für Kleidung aus – viel ist da nicht mehr. Ein Röckchen aus Schlamm vielleicht oder ein Hut aus Straußeneiern oder ein Höschen aus lebendigen Schmetterlingen. Wir sind gespannt.
Sorgen sollte sich auch der Robbie Williams machen, denn dem sind die musikalischen Ideen schon vor fünf Jahren ausgegangen. Im Oktober kommt schon wieder ein Best-Of CD in die Läden und seitdem der Gute in festen Händen ist, gibt’s auch keine vernünftigen Skandale mehr um das Ding zu promoten. Nix mehr mit Drogen, Depression, Sexparties, Übergewicht und all das Andere, was man so gerne von dem Schlingel liest. Und die geplante Réunion mit den alten Kumpels von Take That wirkt auch eher wie ein Klassentreffen von Kerlen in der Midlifekrise. Na vielleicht fällt Robbies Management noch was Cooles ein um ordentlich in die Zeitungen zu kommen. Dafür werden die Kerle schließlich bezahlt.
Andi Bauer

20. September 2010

Kann es sein, was nicht sein darf?

Eine good@wise Filmempfehlung von Gastautor Christian Dangl

Als mir Andi Bauer vor etwa 2 Wochen von einem neuen Kinofilm über Lichtnahrung erzählte, war ich überrascht, neugierig und vor allem – skeptisch. Überrascht, dass dieses Thema, mit dem ich mich selbst intensiv beschäftigt habe und das für mich extrem faszinierend ist, ins Kino kommen soll. Neugierig auf Inhalte, Personen, Studien, Aussagen, Erklärungen, Erfahrungen und letztendlich skeptisch, weil ich mir dachte, dass dieses für mich so besondere Phänomen ohnehin in der Luft zerrissen würde.

PA Straubinger forschte 10 Jahre und reiste rund um den Globus auf der Suche nach dem, was weitläufig unter Lichtnahrung, Breatharianism, Inedia usw. bekannt ist. Was daraus entstand ist die Dokumentation „Am Anfange war das Licht“. Sie zeigt den Prozess des Suchens vom ersten „Googeln“ über Treffen und Interviews mit zahlreichen Menschen, die Erfahrungen mit Lichtnahrung gemacht haben, bis hin zu unterschiedlichen Studien und dem Versuch einer Erklärung für das, was eigentlich nicht sein dürfte.

Einen Tag nach der Premiere in den österreichischen Kinos habe ich mir den Film angeschaut und war sehr angetan von der Art der Darstellung und der Fülle an Informationen, die ich zum Teil kannte, die mir zum Teil aber auch völlig neu waren. Der Film regt zum Nachdenken an und kann sich auf eine fruchtbare Diskussion zu diesem Thema nur positiv auswirken. Man sollte ihn jedoch idealer Weise nicht alleine anschauen, um ihn anschließend entweder gemeinsam zerreißen oder loben zu können und so eventuellen Gefahren einer Festplattenüberlastung des Verstandes entgegenzuwirken. Übrigens geht es bei Lichtnahrung gar nicht wirklich um Licht im buchstäblichen Sinne ;)

Christian Dangl

19. September 2010

Sunday Morning Coming Down - Bono, Eddie, Jimi & Bob tanzen entlang dem Wachturm

Mit seinem Film “I`m not there“ von 2008 versucht Regisseur Todd Haynes sich dem Musiker Bob Dylan zu nähern. Er machte das einzig richtige, indem er die verschiedensten Phasen der Karriere des Musikers, von sechs Schauspielern verkörpern lässt. Darunter finden sich Christian Bale, Richard Gere, Heath Ledger und sogar Cate Blanchett, die Bob Dylan darstellen. Ein sehenswerter Film mit einem interessanten Soundtrack. Musiker der aktuellen Alternativrockszene interpretieren Lieder des Meisters. Ein schöner Querschnitt durch viel frühes, ein bisschen mittleres und wenig spätes aus 40 Jahren Musikgeschichte. Nebst einigen witzigen und auch skurrilen Visionen gibt’s wieder mal eine Version von „All along the watchtower“. Viele große scheiterten bereits an diesem Lied, wie auch U2. Bono fühlte sich 1988 sogar bemüßigt eine Textzeile zu „Watchtower“ hinzuzufügen.
„All I got is this red guitar, tree accords and the truth“
Ja, so peinlich ist das heute noch - nach 22 Jahren, nachzuhören auf „Rattle and Hum“. Auch auf dem Soundtrack von „I`m not there“ wird ein neuer Versuch gestartet das Lied neu zu deuten. Pearl Jam Sänger Eddie Vedder knödelt sich durch das Lied, durch begleitet von einem breiten schweren Morast aus Grungegitarren. Ein Jammertal. Es gibt einfach Lieder von „Sir Bob“ die brauchen keine Erklärungen und Neudeutungen. Und „Watchtower“ hat schon eine definitive Version, die von Jimi Hendrix. Erschienen ist das Lied erstmals 1968 auf Dylans „John Wesley Harding“ Album, das nach einem zweijährigen verletzungsbedingten Asyl – damals war das sehr, seeehr lange – von den Fans sehnsüchtig erwartet wurde. Während Kritiker, selbsternannte Experten und Dylanologen versuchten den kryptischen Text zu entschlüsseln, nahm sich Jimi Hendrix der Nummer an. Hendrix sang das Lied, nicht sondert spuckte die Worte aus als seien diese giftige Säure, nahm seine Gitarre, zerschnitt die Nummer in winzige Stücke und schoss diese ins Universum. Da blieb nichts mehr übrig, von der ursprünglichen Folkversion. Dylan war so begeistert, dass er verkündete nur noch die Hendrix Version des Liedes live zu spielen, da dies nun die definitive sei. Somit zeigte er, dass es in der Musik nicht immer um das begreifen der Noten und Akkorde geht, sondern auch darum den Geist des Werkes zu erfassen. Um was in dem Lied wirklich geht, sagte Dylan noch nie. Sein Kommentar zum Album ist in seinem Buch „Chronicles“ nachzulesen. „Some Folk/Countryalbum inbetween“. A-Ha. Für mich ist die Bedeutung der Nummer klar. Es sind 6000 Jahre biblische Geschichte, von der Schöpfung bis heute und wieder zurück. Und wenn man sich die Geschichte so anschaut, dann braucht es wahrscheinlich eine Gitarre von Hendrix um diese adäquat zu erzählen.



All along the Watchtower
"There must be some kind way out of here
Said the joker to the thief
There's too much confusion
I can't get no relief

Businessmen, they, they drink my wine
Plowmen dig my earth
None will level on the line
Nobody of it is worth", hey

No reason to get excited"
The thief, he kindly spoke
"There are many here among us
Who feel that life is but a joke

But you and I, we've been through that
And this is not our fate
So let us not talk falsely now
The hour is getting late", hey

Hey

All along the watchtower
Princes kept the view
While all the women came and went
Barefoot servants too

Outside in the cold distance
A wildcat did growl
Two riders were approaching
And the wind began to howl, hey

All along the watchtower
All along the watchtower”

15. September 2010

Pure Joy

Good@Wise Musiktipp: Robert Plant / Band of Joy
Neulich meinte der eitle Schwätzer Bono, dass U2 nicht anstreben die größte, sondern vielmehr die beste Band der Welt zu werden. Ein möglicherweise, unabsichtlicher Anflug von Weisheit? Denn der Titel „Größte Band der Welt ist seit 40 Jahren fest in den Händen von Led Zeppelin“ und das wird sich in den nächsten Jahrzehnten auch nicht ändern. Es mehren sich vielmehr die Anzeichen, dass die britischen Bluesrocker auf diesen Titel einzementiert sind. Als Led Zeppelin 2008 ein einmaliges Konzert in der Londoner Q Arena gaben, meldeten sich 20 Millionen Menschen, für die 20.000 zur Verfügung stehenden, Karten an. Wenn die ganz Großen (Rolling Stones, U2, Madonna) auf Welttournee gehen werden im Vergleich weltweit 3-4 Millionen Tickets verkauft. Aber was sollen die Zahlenspielereien, lassen wir die Musik sprechen. Die ersten sechs Alben von Led Zeppelin sind so gewaltige Rock-Monolithen, da braucht es nichts mehr – „The First And The Last Word in Rock“. Oder, anders gesagt, sollte der liebe Gott mal dran denken den Urknall zu vertonen, weiß er an wen er sich wenden muss. Warum – so mag sich mancher Leser fragen – die plötzliche Euphorie für die Dinosaurier. Nun, Zeppelinröhre Robert Plant hat gerade ein sensationelles Soloalbum veröffentlicht und nachdem ich mir das Ding dreimal durchgehört habe, wurden die alten Zep-Scheiben wieder mal aktiviert. Dies bräuchte es nicht mal. Robert Plants Album ist wunderbar. Weit weg von einem Alterswerk vermittelt der 62jährige eine Aufbruchsstimmung welche man bei seinen jüngeren Nachäffern schon lange vermisst. Die Reise führt wieder mal durch die USA ins Mississippi-Delta, nach Nashville und natürlich gibt’s auch einen kurzen Stopp in Memphis. Man ahnt es, knackiger Blues, frischer Folk und gedrosselter Rock mit einer Prise Country wird dargeboten. Plants Stimme erweist sich einmal mehr als Instrument im eigenen Recht. Schon lange muss der Mann nicht mehr beweisen dass er auch die höchsten Töne trifft. Gekonnt und nuanciert hantelt sich der beste aller Rocksänger durch die unterschiedlichsten Stile und Facetten der Lieder, begleitet von den besten Countrymusikern Amerikas. Man höre nur das mitreißende „Can`t Buy my Love“, das verschlurfte „Falling in Love Again“ oder das stupende „Satan Your Kingdom Must Come Down“. Ein Hörgenuss für hungrige Forscher & ewige Rocker. Und die beste Band der Welt ist immer noch….you can guess.
Andi Bauer

12. September 2010

Sunday Morning Coming Down - Jesus der Lässigen

Gerade ist Post aus den USA eingetroffen. Ein guter Freund hat mir ein T-Shirt mit der Aufschrift. „Finally We Nailed the Jesus Of Cool“ geschickt. Dieser Werbespruch für ein Album von Nick Lowe aus dem Jahre 1978 bringt mich zu einer wichtigen Frage. Möglicherweise zu DER Frage überhaupt. Wie lautet der beste Plattentitel aller Zeiten. Auswahl gibt es genug. „Achtung Baby“ von U2 etwa, doof aber witzig. Oder „Ragged Glory“ als Neil Young die Gitarre auspackte und damit ein Inferno auslöste. Treffend und geistreich. Der Titel sollte auch mit den Liedern oder der Geisteshaltung des Albums zusammenhängen. Als Universal 1995 eine 4-CD Box von Bob Marley veröffentlichte nannten sie diese sinnigerweise „Songs Of Freedom“. Ein Textausschnitt aus dem wunderbaren „Redemtion Songs“ und zugleich Bob Marleys Lebenseinstellung und eine treffende Zusammenfassung seiner Lieder. Was gibt es noch zur Auswahl. Einige Ideen an dieser Stelle:

REM / Eponymous
The White Stripes / Icky Thump
Morrissey / Viva Hate
The Smith / Meat is murder
The Smith / The queen is dead
New order / Substance
Simon & Garfunkel / Bookends
Frank Sinatra / In thee we small hours
Joy Division / Closer
Emerson Lake Palmer / Brain Salad Surgery
Ween / Chocolate and Cheese
Muse / Origin of Symmetry
Led Zeppelin / Physical Graffiti
Led Zeppelin / Presence
Sigur Ros / ( )
Pet Shop Boys / Yes
Pet shop Boys/ Please
Pet Shop Boys / Very
Bob Dylan / Blood on the Tracks
Herbert Grönemeyer / Bleibt alles anders
Falco / Junge Römer
Nirvana / Nevermind
The Beatles / Help
The Rolling Stones / Beggars Banquet
Elvis Presley / From Elvis in Memphis
James Brown / I`m black and I`m proud
Miles Davis / A kind of blue
Massive Attack / Blue lines

Alle diese Titel sind zwar gut aber,.... der beste Albumtitel ist:
THE JESUS OF COOL von Nick Lowe (das T-Shirt). Nicht einverstanden?
Dann schreibt mir Eure Meinung zum besten Titel. Ich freu mich drauf.
Andi Bauer

2. September 2010

The Hawk & The Elve



Good@Wise Musiktipp:
Isobel Campbell and Mark Lanegan / Hawk
Wäre es nicht so abgeschmackt, man würde ohne Umschweife die Kollaboration von Isobel Campbell und Mark Lanegan als „The Beauty and the Beast“ bezeichnen. Gegensätzlicher könnten zwei Musiker nicht sein, und doch gelingt es Ihnen bereits auf drei Alben einen gemeinsamen musikalischen Nenner zu finden, welcher schöner und spannender nicht sein. Mark Lanegan war in den 90er Jahren Vorstand der Grunge Rabauken Screaming Trees, mit denen er dreckigen Garagenrock spielte, der selbst Pearl Jam Angst und Respekt einjagte. Zur selben Zeit säuselte Isobel Campbell für die soften Folk–Popper Belle & Sebastian sanfte Liedchen. 2006 veröffentlichte das ungleiche Paar ihr erstes gemeinsames Album, das hervorragende „Ballad of the broken Sea“ und überraschte damit Fans und Kritiker. Nach dem zweiten Werk „Sunday at devil`s Dirt“ von 2008 folgt nun mit „Hawk“ der dritte Streich und ist schon jetzt Anwärter für die schönste Herbstplatte des Jahres.
Lanegan`s von Whiskey & Nikotin zerstörte Stimme entpuppt sich erneut als grandiose Unterlage für Campbell`s elfenhaften Gesang. Die Kompositionen pendeln geschickt zwischen störrischen Blues, gebremsten Rock und melodietrunkenen Folk. Einer der vielen Höhepunkte stellt „Time of the Season“ dar, wo beide Sänger im harmonischen Gleichklang die Geschichte einer verlorenen Liebe erzählen und dabei den Hörer scheinbar mühelos mit auf die Reise nehmen. Anders im großartigen „You won`t let me down again“ wo Lanegan getrieben von bösartigen Bluesgitarren, wie ein grollender Wolf die Worte ins Mikro bellt. Campell`s Stimme verliert sich dabei im Hintergrund, wie ein verschreckter Windstoß im Herbst. Im wunderbaren „Sunrise“ wiederum, verzichtet Campbell auf das Raubein und sing die traurigen Zeilen ganz alleine, gleich einem verträumten Engel.
„Too much pain, to much pressure – And why must I wait so long – for the One I treasure – Tommorrow that´s when I´ll be gone – at sunrise”Ein Lied über Vampire? Wer weiß das schon. Geschrieben hat die Lieder welche durchwegs Schmerz und Verlust behandeln Isobel Campell, bis auf zwei hervorragende Coverversionen aus der Feder des großen Townes van Zandt. Ein Mann der auch wusste wie man Leid und Einsamkeit buchstabiert. Ihr schönstes Lied „Lately“ platzierte Campbell am Ende der Platte und überlässt den Gesangspart – ganz Ladylike – allein ihrem Gefährten.
„Lately I`ve been looking out für the bells when the ring – bells for you and bells for me, a beautiful thing – been a long time coming soon my ship will come in – Lately”
Auch für die Einsamen gibt es noch Hoffnung.
Andi Bauer

1. September 2010

John Mellencamp - “Fighting man`s Springsteen”




Kein Springsteen für Arme
„Poor man`s Springsteen“ – der Springsteen für Arme – so nannte man John Mellencamp in den 80er-Jahren. Eine Bezeichnung die den Versuch darstellt, den unbequemen Rocker zu schubladisieren. Unbequem, weil immer schon stur, rastlos und rebellisch. Mellencamps Karriere scheint ein einziger Kampf zu sein, mit unendlichen Schlachten an verschiedensten Fronten. Gegen gierige Plattenfirmen, inkompetente Musikmanager, korrupte und ignorante Behörden, eine intolerante Gesellschaft, verständnislose Ehefrauen und letztlich gegen sich selbst, wegen diverser Krankheiten, Schlaganfällen und dem nahenden Tod. Kein amerikanischer Musiker scheint patriotischer und zugleich rebellischer zu sein. Keine Karriere kann größere Sprünge verzeichnen und reiht so eng Großtaten und Erfolge neben Peinlichkeiten und Misserfolge. Von einem derzeitigen Comeback bei John Mellencamp zu sprechen ist falsch wie überflüssig. Seine letzten beiden großartigen Alben Life Death love and Freedom & No Better Than This, sind vielmehr eine Heimkehr. John Mellencamp scheint mit seiner aktuellen Musik endlich bei sich angekommen zu sein. Ein langer Weg von Johny Cougar zu John Mellencamp und eine Gelegenheit für das Porträt eines Unbequemen, der in Europa immer noch zu wenig wahrgenommen wird.

Der langwierige Start einer wechselhaften Karriere
Aufgeschlossene Beobachter wundern sich heute noch, dass Mellencamp`s Karriere überhaupt zündete. Seine ersten vier Studioalben (1979-84) sind unhörbarer Quatsch und servieren eine furchtbare musikalische Melange aus New Wave, melodiearmen Pop und verunsicherten Rock N´Roll. Es mag an der damaligen Großzügigkeit und Geduld der Plattenfirma gelegen haben – heute kriegt kein Künstler nach zwei verhauten Album eine weitere Chance – und auch an dem kleinen Hit „I need a lover“ (top 10 in Australien), dass John Cougar noch die Gelegenheit bekam, ein fünftes Album aufzunehmen. American Fool erschien 1982, als der große Bruder Bruce Springsteen mit dem introvertierten Nebraska eine Auszeit aus dem Rockzirkus nahm und passte perfekt in die frühen 80er-Jahre. Gefälliger, patriotischer Roots-Rock, glatt produziert und auf Hitparade getrimmt. Und diesmal hatte Mellencamp sogar einige zwingende Melodien eingebaut. Die fetzige Single Hurt so good schaffte es sogar auf Platz eins der US-Charts und zog das Album mit, welches auch auf an der Spitze der Albumcharts landete. Es sollte kurioserweise Mellencamps einzige Nummer eins bleiben. Der Nachfolger Uh-Uh warf zwei weitere Hits ab und propellte den Musiker zum neuen US-Superstar. Zwischenzeitlich veröffentlichte Springsteen Born in the USA. Patriotischer Rock war das neue große Ding zwischen New York und L.A. Neben dem großen Bruce war 1985 jedoch wenig Platz und Mellencamp kassierte rasch den Begleitsatz: „Springsteen für Arme“. Unpassend und schlicht falsch. Mellencamp spielte nie den pathostriefenden Breitwandrock wie sein erfolgreicher Kollege. Seine Lieder waren immer schon inwendiger, was er mit seinem siebten und charakteristischsten Album beweisen sollte.
Der Regen auf die Vogelscheuche brachte die großen Hits
Rain on the Scarecrow ist immer noch das Referenzwerk des störrischen Musikers. Mellencamp wuchs in einer Kleinstadt im Bundesstaat Indiana auf, war schon immer politisch aufgeweckt und hasste aus ganzen Herzen die Reagan-Administration, seiner Ansicht nach, die USA für immer verändern würde. Sein Album Scarecrow war ein Statement über die Missstände des Landes. Der Titelsong behandelt mit schmerzhaft deutlichen Worten den Verlust der Würde der heimischen Farmer.

Rain on the scarecrow Blood on the plow
This land fed a nation This land made me proud
And Son I'm just sorry there's no legacy for you now
When you take away a man's dignity he can't work his fields and cows

Mellencamp machte aus seinem Herzen nie eine Mördergrube. Seine offene Kritik an die Republikaner, welche er bis in die Bush-Jahre fortsetzte, schuf ihm in der eigenen Nachbarschaft viele Feinde. Für viele Amerikaner hat sich der Künstler aufgrund seiner konsequenten Kritik des Landesverrats schuldig gemacht. Wahrlich kein kluger Schritt für die Karriere in „Gods own country“, jedoch ein konsequenter. „Scarecrow“ war auch die erste „Americana“-Platte, bevor es dieses Genre überhaupt gab und kann stilistisch als einleitendes Album für die „No Depression“ Bewegung betrachtet werden, welche Anfang der 90er-Jahre alternativ Country-Bands wie Wilco, Sixteen Horsepower, Uncle Tupelo und Musiker wie Ryan Adams, Connor Oberst & Bonnie Prince Billie eine Karriere ermöglichte. Auch die restlichen 80er-Jahre waren gut zu Mellencamp. Zwei weitere Hitalben (The Lonesome Jubilee 1987 & Big Daddy 1989) und erfolgreiche Tourneen füllten die Kriegskasse. Ferner wurden zum ersten Mal die Kritiker auf ihn aufmerksam und lobten den melodiösen und fein arrangierten Countryrock.
Von Scheidungen, Herzinfarkten und anderen Karrierestolpersteinen
Der Preis für den Erfolg wurde, wie allzu oft, an der häuslichen Front bezahlt.1989 ging der Musiker durch eine hässliche Scheidung. Diese wurde offensichtlich mit einer trotzig wütenden Platte voller Pessimismus und apokalyptischen Warnungen bearbeitet. Whenever We Wanted von 1991verstörte viele Fans. Der gefällige Countryrock wurde von lärmenden E-Gitarren und kreischenden Bläsern verdrängt. In den 90ern entdeckte der Künstler auch die Malerei, was eine Veränderung im Fokus bedeutete. Die Alben dieser Zeit bedeuteten selbst für Fans besseren Durchschnitt und vermittelten trotz einiger starker Titel eine generelle Lustlosigkeit. Frustriert von der eigenen Stagnation und der Tatsache seit zehn Jahre keinen Hit mehr gelandet zu haben, wechselte Mellencamp 1998 Plattenfirma und Management und suchte bei traditionellen Rocklabel Columbia (Springsteen, Billy Joel) eine neue Heimat. Auch ein mühsam überwundener Herzinfarkt zwang den Künstler neue Wege zu gehen. Der Neuanfang sollte gleich mit einem selbstbetitelten Werk dokumentiert werden. Das Album war jedoch zu schwach und einer der Titel – „Pissing against the Wind“ – entpuppte sich als Orakel für Mellencamp`s Karriere. Nach einem weiteren Flop tauchte der Musiker unter. Auch die treuesten Fans waren sich sicher, dass hier ein weiterer alternder Rockstar seine Karriere endgültig zu Grabe getragen hat. Alle irrten.
Auferstehung durch Rückbesinnung
Um den unnötigen Springsteen Vergleich endgültig zu beenden, sollte die derzeitige erstaunliche Revitalisierung von Mellencamps Karriere mit der des Bob Dylan verglichen werden. Amerikas größter Songwriter ist in den 80er-Jahren auch am Ende seiner Weisheit angelangt. Schwache Alben und lustlose Tourneen ließen den Meister an sich selbst zweifeln und das Karriereende ernsthaft in Betracht ziehen. Es war dann das hervorragende Oh Mercy, welches Dylan aus der Ecke rausholte. Vollends befreit haben ihn dann seine beiden Alben mit Blues und Folkklassikern, welche er 1992 und 1993 veröffentlichte. Dylan besann sich seiner Wurzeln und veröffentlichte schließlich seine besten Alben seit Jahrzehnten. Auch John Mellencamp nahm 2003 ein Album mit Folk-Klassikern auf. Trouble no more wurde zwar kein großer Hit, befreite jedoch den Künstler von Zwängen und selbstgestellten Erwartungen. Sein darauffolgendes Studioalbum (Freedom Road 2007) entpuppte sich als zorniger Countryrock im Geiste von Scarecrow. In den Texten rechnete Mellencamp gnadenlos mit der Bush-Administration ab. Aber dies sollte nur die Aufwärmrunde für Life Death Love and Freedomsein, welches sein bestes Album bis heute werden sollte und 2008 erschien.
Zuhause angekommen mit Leben, Tod, Liebe und Freiheit
Fans und Kritiker zeigten sich verwundert und erfreut was in dem alten Knaben noch steckte. Man hat es vermutet aber nie zu erwarten gewagt. Nicht unwesentlich am künstlerischen Erfolg war Produzent T. Bone Burnett mitbeteiligt, der Mellencamp endgültig von den Konzepten befreite, dass seine Lieder eine radiofreundliche Produktion bräuchten. Burnett reduzierte die teils erschütternd direkten Lieder zum musikalischen Skelett. Textlich ist Mellencamp nach seinem nationalen Rundumschlag inzwischen bei sich selbst angekommen und beschreibt die letzten Dinge mit einer Endgültigkeit, die dem Hörer die Sprache verschlägt.
If I die sudden, Please don't tell anyone
There ain't nobody that needs to know that I'm gone
Das Album ist ein Meisterwerk amerikanischer Songwriterkunst und verdient einen Platz zwischen Springsteen und Dylans besten Werken. Das aktuelle Album No better than This setzt diesen Konzept noch konsequenter fort und orientiert sich am Sound alter Blues und Folkballaden aus den 1930er-Jahren. Aufgenommen im trotzig knarrenden Monosound, in traditionellen amerikanischen Studios, bietet No better than This eine spannenden Zeitreise in die USA des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Mellencamp hingegen, ist endgültig bei sich angekommen und macht offensichtlich nur noch das, was ihm am Herzen liegt. Dazu gehört auch das Projekt Farm-Aid, welches der Musiker gemeinsam mit Neil Young und Willie Nelson betreibt. Seit 20 Jahren findet jährlich ein Farm-Aid Musikfestival statt. Inzwischen wurden dadurch bereits Millionen für notleidende Farmer gesammelt.
Musikalisch hat Mellencamp inzwischen auch seine Vergangenheit geordnet. Nachzuhören bei seinem im Juni erschienen Vier-CD-Set On the Rural Route 7609, welches einen Karriereüberblick bietet. Die eigenwillige Songauswahl stellt für derartige Box-Sets ein Novum dar. Üblicherweise versammeln Künstler auf diesen Retrospektiven ausreichend Hits und eine Sammlung Raritäten für die Fans. Mellencamp hat das Konzept überworfen und bietet einen thematisch geordneten Blick auf seine Karriere mit Titeln, welche seiner Ansicht nach mehr Beachtung finden sollten. So finden sich auf Rural Route fast keine Hits, dafür jedoch 15 Titel aus den letzten beiden Alben und interessante Albumtracks aus den letzten 25 Jahren. Keine Konzessionen an den Markt, dafür eine spannende Einführung in das Werk eines der interessantesten und immer noch unterschätztesten Künstler der letzten drei Jahrzehnte. Einfach war er John Mellencamp nie, aber er hat immer für seinen Standpunkt gekämpft. Wie er das auf einem Titel aus dem 1985er-Album Scarecrow verdeutlichte.
You've got to stand for something
Or you're gonna fall for anything
Andi Bauer

Empfehlungen
Words and Music 2004 Mercury (Universal) ASIN: B00065VRXS
On the Rural Road 2010 Island (Universal) ASIN: B002GYHIWG
No better than This 2010 Decca (Universal) ASIN: B003NWS5DQ