Der Sänger und Songwriter Gisbert zu Knyphausen ist in Deutschland der Mann der Stunde und begeistert gleichsam Publikum wie Kritiker. Soeben hat der Musiker sein zweites und wieder großartiges Album HURRA! HURRA! SO NICHT! veröffentlicht und letzten Dienstag ein euphorisch bejubeltes Konzert in Wien gegeben. Eine goldene Gelegenheit, den gefeierten Sänger zu einem Gespräch zu bitten und einen Blick hinter seine wunderbaren Lieder zu werfen.
Als Gisbert zu Knyphausen 2008 sein gleichnamiges Debütalbum veröffentlichte, konnte der scheue Künstler noch nicht ahnen, dass er zunehmend in Richtung eines Popstars rutschen würde. Darauf angelegt hat es der Musiker sicher nicht. Der Gute wollte nur seine Lieder veröffentlichen. Es waren halt nicht nur irgendwelche Lieder auf einer beliebigen Deutschrock CD deren es viele gibt. Es wurde die beste deutschsprachige Platte der letzten zwanzig Jahre. Das Album reiht sich nahtlos in die Reihe der Klassiker der deutschen Popmusik. Weißes Papier von Element of Crime, Tocotronic - die Spätphase und Ton Steine und Scherben - die Frühphase. Es ist auch nicht vermessen, den Musiker mit einem jungen Bob Dylan, Jackson Browne und Georg Danzer zu vergleichen. Gisbert schaffte es mit seinen Liedern, Gedanken und Gefühle einer zutiefst verunsicherten und orientierungslosen Generation zu vertonen. Seine Lieder erzählen von den Unsicherheiten des Lebens, von Fragen ohne Antworten und von Zweifel & Ängsten. Gisbert singt über Bindungsängste, über Freundschaft die zur Liebe führt und über die Freuden am verwirrten Leben. Der Sänger ist weder ein moralisierender Gutmensch, noch ein Oberlehrer oder abgehobener Philosoph. Er schafft es vielmehr, die Fragen seiner Generation in Worte zu gießen und diese in der Form von wunderbaren Liedern an uns zurückzugeben. Freilich ohne diese zu beantworten. Aber eine klug ausformulierte Frage ist auch ein Anfang, so wie es der Sänger im neuen Titel Grau, Grau, Grau wunderschön zum Ausdruck bringt.
„Ich dreh mich im Kreis und singe über das ewige Licht, die Blitze ins Nichts und die gleißende Frage: Wie solls jetzt weitergehen? Das weiß ich doch auch nicht. Wir brauchen einen Neuanfang"
Seit drei Jahren tingelt jetzt der Sänger durch Clubs, Kaffeehäuser und Keller um seine Lieder vorzustellen. Über 200 Konzerte hat Gisbert bereits gespielt, ein kleines jedoch treues und dankbares Publikum folgt ihm, kennt jede Zeile auswendig und saugt mit dankbarem Herzen die kleinen Weisheiten des bescheidenen Gisbert auf. Lieder wie Sommertag oder Der Blick in deinen Augen sind jetzt schon Klassiker und werden – das behaupte ich mal so – in wenigen Jahren unverzichtbare Standards der deutschen Popmusik sein.
Ich weiß ziemlich genau was ich bin
aber nicht wo das hin will singt Gisbert in Der Blick in den Augen und sagt mit einem Satz mehr als Andere mit einer ganzen Karriere. Der zunehmende Erfolg und vor allem die breite Anerkennung seiner Musik quer durch den deutschen Blätterwald verwundert und erfreut den Musiker zugleich. Der Preis für die Anerkennung folgte rasch. Der Musiker kämpfte mit Unsicherheit und Ängsten vor der nächsten Phase und dem nächsten Album. Gisbert löste sich aus diesem Kreislauf, in dem er zwei Schritte nach vorne machte. Er entwickelte die Lieder gemeinsam mit seinen Musikern was zu einem Bandalbum führte und engagierte mit Tobias Levin einen erfahrenen Produzenten, der ihm half, seine eigenen Grenzen auszudehnen. Die schnelle Zufriedenheit des Musikers mit dem Ergebnis wurde von Levin öfters auf die Probe gestellt. Der Mix zog sich hin da der Produzent den schnellen und einfachen Weg ablehnte und das Optimum aus den Liedern herauskitzeln wollte, was den einfachen Troubadour Gisbert oft genug an den Nerven zehrte. Das Ergebnis gibt Levin recht und auch Gisbert ist jetzt höchst zufrieden mit dem Ergebnis der professionellen Arbeitsweise des Produzenten. Das neue Album glänzt durch eine warme, organische und doch sehr dynamische Produktion. Das Spiel der Band hat viel mehr Raum und somit an Bedeutung gewonnen. Im Zentrum stehen aber erneut die Lieder des Mannes der es schafft, kompliziertes so klar zu sagen, nie oberflächlich ist und scheinbar mühelos den Bogen zwischen persönlichen Befindlichkeiten und kollektiven Sorgen spannt. Wenn der Sänger in Morsches Holz von Ängsten singt, dann ist das persönlich und doch allgemeingültig. „Ich tausche alles was ich bin oder war gegen ein Leben ohne Angst vor der nächsten Telefonrechnung, dem Zahnarzt, der Liebe oder dem Tod“. Sogar die Melancholie wird personalisiert „Was hast du der Menschheit jemals Gutes gebracht. Außer Musik, Kunst und billigen Gedichten? Melancholie.“
HURRA! HURRA! SO NICHT versammelt elf Lieder, die sich an der Kreuzung von Blues, Pop und Folk treffen und die den Hörer an der Hand nehmen und ihn zu einem schönen blumengesäumten Feldweg geleiten. Lieder wie ein Gespräch mit einem guten Freund. Wie er das wieder hingekriegt hat, der Gisbert, weiß ich auch nicht. Arne Willander, Redakteur im deutschen Rolling Stone bezeichnet den Sänger schlicht als „verdammtes Genie“. Zweifellos zutreffend und doch unzureichend. Ich hatte vor seinem Wien-Konzert im Haus der Musik die Gelegenheit, den Musiker für ein Gespräch zu treffen, welches sich – gleich seiner Lieder - als ein Treffen mit einem guten Freund entwickelte. Gisbert und sein zweiter Gitarrist Jens Fricke erreichten den Ort des Geschehens ohne Tourbegleiter, Labelmanager und PR-Berater. Nur mit Gitarren und zwei Kartons voller CDs und LPs ausgerüstet, entstiegen die beiden Musiker dem Taxi. Wie zwei Bänkelsänger in der Fußgängerzone. Gisbert erzählte dann auch, dass er gerade in der Straßenbahn ein bisschen gespielt und gesungen hat – man glaubt es ihm unbesehen. Im Gespräch war der etwas übermüdete Musiker offen, interessiert und erfreut über die Möglichkeit, eine zu rauchen und ein Tässchen Kaffee zu trinken. Gisbert freut sich über die Menschen die seine Lieder mögen, hat keine Vorstellung von Zielgruppen und kann mit Kategorisierungen der Musik nichts anfangen. Der wiederkehrende Vergleich mit Reinhard Mey stört ihn zwar nicht, verwundert in jedoch da der Mey, so Gisbert, eigentlich keine verzerrten Gitarren in seinen Liedern hat. Die eigenen Vorbilder sind breit gestreut und reichen von Nick Cave über Radiohead bis zu Bright Eyes. Es war auch der Mut des Conor Oberst, der Gisbert inspirierte, offen über seine Gefühle zu schreiben.
Das Konzert wird rasch zur Privataudienz mit Wohnzimmeratmosphäre. Gisbert plaudert über seine Lieder, verlorengegangene Songtitel, Abenteuern mit dem Plattenlabel und über Banales und Erhellendes. Der Musiker entschuldigt sich für seine Müdigkeit, verspielt sich, vergisst Textteile und trotzdem ist alles gut. Die 200 Besucher lauschen andächtig, die berühmte Stecknadel kann fallen und die Zwischenrufe des Publikums sind respekt- und liebevoll. Selbst ein technischer Ausfall seines Sidekicks kann den jungen Mann nicht aus der Ruhe bringen. Dann spielt er eben alleine weiter – meint er. Und wenn er dann seine Lieder singt, die Augen dabei schließt und hineinfällt in seine Musik, dann wusste jeder Anwesende, dass hier große Kunst stattfindet. Einer der wenigen wahrhaften Momente, in denen Popmusik die Zeit anhält und den Raum in die Unendlichkeit dehnt. Ja, es stimmt – Gisbert ist ein verdammtes Genie und ein nettes noch dazu. Man wünscht ihm den ganz großen Erfolg und hat gleichzeitig Angst, dass die immerzu hungrige Musik- und Medienmaschinerie ihn verschlingen könnte. Aber all dies ist nicht wirklich. Wo auch immer die Reise hingeht, Gisbert hat uns mit seinen ersten beiden Alben bereits so viele große Lieder gegeben - diese werden die Zeit überdauern. Kaufen Sie seine CDs und lassen sie sich von den Liedern dieses Mannes verzaubern und berühren. Mehr Glück und Trost gibt es in diesen Tagen nirgends.
Andi Bauer
1 Kommentar:
Grau, grau, grau ist so ein geniales Lied, der Anfang haut mich jedesmal um, diese feinen Latin-Beats, ich bin begeistert!
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